Woche in die Zone, und lachen, wenn sie Angst zeigte. Wer rein durfte, kam auch wieder hinaus. Zur Messe wollten die Genossen keinen Skandal, sondern Geschäfte. Es war schon putzig, wie sich bundesdeutsche Prominenz sogar um den Grinser Krenz drängte. Wenn die Knastologen in Bautzen und Waldheim »Neues Deutschland« durch den Spion geschoben kriegten, mußte sich ihnen der Magen umdrehen: Klassenfeinde prosteten sich zu, hinter ihnen protzte das kalte Büfett. In Hoheneck und Torgau und Cottbus wurde zeitgleich dieses perverse Gemisch aus Kaidaunen und Blut ausgekeilt, dazu eine Handvoll halbfauler Pellkartoffeln. Na, vielleicht war es dort wirklich nicht mehr ganz so schlimm. Sechsundzwanzig Fragen waren zu beantworten, ab Punkt zwölf fand er sie heikel. »Haben Sie auf dem Gebiet der heutigen DDR gelebt? Wenn ja, von wann bis wann? Welchen Parteien und Massenorganisationen haben Sie angehört: a., von 1933-45, b., nach 1945?« In der FDJ war er gewesen, auch in der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft. Nach gerichtlichen Strafen wurde nicht gefragt, wie schön. Die standen bestimmt in den Stasi-Akten. »Welche Länder außerhalb der DDR haben Sie besucht? Von wann bis wann?« Typisch DDR, wer von denen streunte schon. Er hätte Mühe, nur die Reisen von länger als vier Wochen zusammenzubringen. Marianne war mit ihrem Alten sicherlich nach Samarkand und ans Schwarzmeer gefahren. Womöglich war es doch vorstellbar, daß er sich mit Marianne traf. Vorher müßte er ihr Fotos schicken. Die Beinprothese drückte, er sollte sie abschnallen, an diesem Tag ging er nicht mehr aus dem Haus. Jahrelang hatte er Babettes wegen solchen Versuchungen widerstanden, er wollte kein Krüppel sein. Eine Szene in Bautzen fiel ihm ein. Vielleicht, weil gerade kein Kalfaktor zur Hand war, hatte ihn ein Wärter beauftragt, den Wasserkrug aus einer Zelle zu holen, zu füllen und zurückzustellen. Gestank war herausgeschlagen, der von einem Mann ausging, der auf der Pritsche hockte. Sein Gesicht war gedunsen, staunend rund die Augen mit klugem Blick, der Körper aufgeschwemmt, ohne Beine. Später hatte er hier und da in den Brigaden nach dem armen Hund gefragt, der da in Einzelhaft schmorte; niemand hatte von ihm gehört. Vielleicht war er ein Doppelspion, der Jahr um Jahr in seiner Zelle dämmerte, bis sein Wissen kalt geworden war, und der in seiner Gruft verfaulte. An diesen Mann dachte er jedesmal, wenn er das Foto einer Buddhaskulptur sah, und manchmal, wenn ihn seine Prothese plagte. Nie hatte er das Ding neben dem Bett stehen lassen, sondern immer daruntergeschoben. Er rief seinen Chefredakteur an; es war die Zeit, da es am Umbruch nichts mehr zu rütteln gab, jetzt konnten die Gedanken seines Brotgebers am ehesten schweifen. »Du, ich möchte dir Fotos zeigen, die ich aus dem Zug zwischen Halle und Plauen gemacht habe, tolle Dinger dabei. Neben einer Chemiebude haben wir gehalten, einfach so. Wenn du die Fotos siehst, steigt dir der Gestank in die Nase! Ich könnte mir vorstellen, ich gebe sie unseren Experten mit, die zur Messe fahren. Wir könnten sie jemandem in Bonn 84 85 hungern lassen. Schlecht genährt sahen diese Partisanen nicht aus, fürchterlich abgerissen allerdings. Warum, fragt der Kommandeur, und zum ersten Mal klang seine Stimme scharf, sei er, der Arbeiter Bennarz, nicht dem illegal kämpfenden Kommunistischen Jugendverband beigetreten? Den Begriff »Klassenpflicht« ließ Bacher unübersetzt, er zweifelte, daß der Gefangene etwas damit anfangen könnte. Der Hitlerjugend habe er angehört, gab Bennarz zu und unterschlug, daß er Jungzugführer gewesen war. Kommunist - nein, niemals, beinahe hätte er angefügt: leider. Die Handbewegung, mit der der Kommandeur den Gefangenen hinausschickte, war kurz und heftig. Der Befehl, den er Albert Bacher dann gab, bestand aus wenigen Sätzen. Bacher hatte ihn erwartet. Er war Deutscher, es würde wohl nie aufhören, daß er sich bewähren mußte. In dieser Partisaneneinheit hieß er »Germanski«, er würde sich irgendwann darüber beschweren müssen, vielleicht, wenn dieser Einsatz vorbei war. Draußen befahl er dem Gefangenen, seine Stiefel auszuziehen. »Was wird jetzt?« »Wir bringen dich zum Gefangenenbunker.« Bacher hoffte, er würde ihm nicht noch einmal ins Gesicht blik-ken müssen. »Da bleibst du ein paar Tage, bis der Transport abgeht.« Der Partisan, der vor dem Unterstand des Kommandeurs gewacht hatte, nahm einen Strick, wie ihn Bauern zum Anbinden von Kälbern benutzten, und fesselte dem Gefangenen die Hände auf den Rücken. 112 1 »Sind bloß ein paar hundert Meter. Die Ameisen werden dich schon nicht auffressen.« Der Partisan winkte dem Gefangenen, ihm zu folgen. Bacher ging hinterher. Sie mußten unter Gesträuch hindurch. Bennarz konnte sein Gesicht nicht vor den Zweigen schützen. Ihn beschäftigte dieser Gedanke: Seine Stiefel würde der Offizier behalten, und ihm gaben sie alte Latschen. Von einem Knüppeldamm herunter stieß Bacher ihn in den Sumpf. Der Deutsche schrie nicht und versank sofort. Für kurze Zeit war braunes, öliges Wasser zu sehen. Luftblasen stiegen auf. Dann schloß sich der Teppich der Wasserlinsen allmählich. Bacher ging zurück und meldete: Befehl ausgeführt. Der Offizier stand ohne Mütze vor seinem Bunker und hatte die Jacke aufgeknöpft. Er nickte, ohne Bacher anzusehen. 113