Brocken hinschmiß. Das hatte er ihm vor einem Jahr hingeknallt: Entweder du scheißt endlich oder mußt runter vom Topf. Er würde diesen halbschlappen Hundeführer doch rüberziehen. Früher hatten sie die stärksten Leute aus allen Bereichen fürs MfS verpflichtet, aber gerade die Besten gingen langsam kaputt. Harald war erledigt, wenn er noch ein Jahr lang so weitermachte. Astrid Protter kam vom Balkon zurück; in der Dämmerung erschien sie ihrem Bruder fast so hübsch wie vor fünfzehn Jahren, als sie geheiratet hatte. Die Zeit der Experimente mit sich selber, mit Lebensläufen war vorbei. Harald durfte kein Zusatzstudium mehr drauf-setzen, Astrid nicht etwa in die Modebranche wechseln und er nicht in die Hundezucht. Keiner kam ohne Bles-suren aus der SED raus und, wenigstens in ihrem Alter, auch nicht ohne weiteres hinein. Aufsteiger waren rar und Seiteneinsteiger nicht gefragt. Er fuhr mit der Straßenbahn nach Hause, wobei ihm einfiel, daß er sich ja auch ein Auto aus der Fahrbereitschaft hätte herbeitelefonieren können. Aber er wollte nicht übertreiben; vielleicht führten sie Listen, wer diesen Dienst am stärksten und wer ihn am wenigsten in Anspruch nahm. Als Major käme er endlich in eine andere Kategorie. Am nächsten Morgen befaßte er sich mit den letzten Anweisungen über die neue Linie, vor allem mit dem Personenkreis, um den es ging: den rotzfrechen Pfarrer Ronner, Ohlbaum von St. Nikolai, der vorsichtiger, verschlagener und deshalb vielleicht noch gefährlicher war, und den Superintendenten der beiden, der sich immer konziliant zu geben versuchte. Aus dem Sportklub »Lokomotive« sickerten Informationen zu westdeutschen Fußballzeitschriften. Frauengruppen machten sich unter Kirchendächern mausig. Ein gewisser Knut, Nachname vorerst unbekannt, versuchte Ökogruppen mit Berliner Stellen zu vernetzen. Schwerpunkt Königsau mit dem Pfarrer Reichenbork. Wenigstens im Schriftstellerverband war derzeit alles ruhig. Immer wieder die Messe als neuralgischer Zeitraum. Wer versuchte, Antragsteller auf Ausreise zu organisieren? Diese Aktivitäten nahmen bedrohlich zu. Er mußte Daten von anderen Abteilungen aufnehmen und umsetzen. Er brauchte einen Stellvertreter Operativ und eine Handvoll Genossen für die Arbeit »am Objekt« - die Terminologie war wichtig, er würde nicht dulden, daß sich Laxheit einschlich. Den flapsigen Begriff »Linie Putzlappen« würde er ausmerzen, sie waren kein Kindergarten. Gegen Mittag wurde er zum Leiter der Abteilung M gebeten. »Ihre Mutter hat ein Paket aus Westberlin gekriegt. Wurde kontrolliert und ausgehändigt. Kennen Sie Verbindungen Ihrer Familie dorthin?« »Nö.« Da mußte er nicht groß nachdenken. »Linus Bornowski. Von ihm gehört?« »Nö.« »Wenn Sie Ihre alte Dame mal besuchen und sie Ihnen Kaffee vorsetzt, sagen Sie einfach: Duftet ja enorm! Ob sie dann rausrückt: Hat mir der und der geschickt?« Zwei Tage später berichtete er einem der Stellvertreter des Generals über seine Vorstellungen. »Wir haben 72 73