Wolfdietrich Schnurre 49 Text 14: Wolfdietrich Schnurre Kein schlechter Rat Hinführung „Am Grab keine Predigt, keine Ansprache, keine Musik. Aber jemand mit guter Stimme soll die schönste Geschichte der Welt am offenen Grab verlesen. Sie ist nicht lang, zweieinhalb Seiten nur etwa. Sie heißt: unverhofftes Wiedersehen', und es hat sie Johann Peter Hebel geschrieben. Ist die Geschichte verklungen, soll laut und vernehmlich am offenen Grab der Hinweis auf das Lokal oder die Kneipe erfolgen, wo im Anschluss jetzt der Leichenschmaus stattfinden wird. Ich bitte darum, schon am Grab, auf jeden Fall noch auf dem Friedhof, wieder Alltagsgespräche zu führen." So und nicht anders wollte der Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre (1920-1989), dieser kauzige alte „Kauz" (Marcel Reich-Ranicki), sein Begräbnis geregelt wissen. Fast alle Nachrufe auf den in keine Schublade der Kritik passenden Georg-Büchner-Preis-Träger kamen auf diesen seinen letzten Wunsch zu sprechen - und daran taten sie gut. Denn in diesem Wunsch spricht der ganze Wolfdietrich Schnurre, und das ist der „schnurrige", eigenwillige Schriftsteller mit ausgesprochener Neigung zum Skurillen, der wusste: es ist gut, „fabelnd zu denken" (Ernst Bloch), der sagte: „L'art pour l'homme ..., nicht ľ art pour ľ art", und dessen Sprachmagie die reife Frucht seiner Schreibmanie war. Die „Lust zu fabulieren" (Johann Wolfgang von Goethe) zog dem Graphoma-nen, der Wolfdietrich Schnurre ganz gewiss war, die Linien, auf denen dieser dann seine magischen Texte schrieb, die immer im Gedächtnis des Lesers haften bleiben. Wenn der „Meister der kleinen Form" zum Fabulieren kam, was häufig der Fall war, formulierte dieser dann wieder und wieder auch fabelhafte Fabeln, die unter Umständen dann auch eine Moral - in der Regel verkappt und verknappt - in oder zwischen den Zeilen zu platzieren wussten. Paradebeispiel einer solchen rundum gelungenen Fabel ist die Fabel „Kein schlechter Rat", die Wolfdietrich Schnurre in den 1971 erschienenen Band „Der Spatz in der Hand", der „Fabeln und Verse" aus seiner „Werkstatt" in reicher Zahl enthält, aufgenommen hat. Diese Fabel, die ein Meisterstück nicht der Maxi-, sondern der Mini-Kunst des Fabulierens ist, sagt auf minimalem Raum maximal etwas zum guten und schlechten Umgang mit dem Gewissen. Wer nach dem rechten, d. h. nicht schlechten, sondern richtigen und guten Umgang mit seinem Gewissen sucht, der ist tatsächlich gut damit beraten, sich dazu Rat in Wolfdietrich Schnurres Fabel „Kein schlechter Rat" zu holen. Guter Rat ist in der Regel teuer; nicht so bei dem expressis verbis in 50 Günther Anders seinen Fabein fabelhaft fabelnd denkenden Meister der „ars narrandi" Wolfdietrich Schnurre. Es lohnt sich, die Probe aufs Exempel zu machen. Kein schlechter Rat Ein Mann schnürte eine Katze in ein Bündel, um sie zu ertränken. „Vergiß nicht, dein Gewissen mit einzupacken", sagte die Katze. Wolfdietrich Schnurre Text 15: Günther Anders Die Stimme des Gewissens Hinführung „Off limits für das Gewissen" - unter diesem Titel erschien im Jahre 1961 im Rowohlt Verlag als Paperback der Briefwechsel zwischen Claude Eatherly (1918-1978) und Günther Anders (1902-1992). Claude Eatherly ist der Name des Mannes, der das „fertig-los" Signal zum Abwurf der Atombombe auf Hiroshima gegeben hatte und der in seinem Gewissen damit nicht fertig wurde. Günther Anders (1902-1992) ist der Mann, der den brieflichen Kontakt zu dem „verrückten" in einem Nerven kra n ken ha us befindlichen Claude Eatherly, der so „verrückt" gar nicht war, suchte und fand und dann Brief um Brief mit diesem wechselte. Es brauchte nur kurze Zeit, da wusste Günther Anders; Dieser Claude Eatherly, dessen Briefe zeigten, dass dieser sich ein Gewissen daraus machte, was durch die „Mission", bei der er dabei war, in Hiroshima geschehen war, war aus moralischer Sicht alles andere als krank, sondern durch und durch gesund. Das schrieb Günther Anders dann auch in einem offenen Brief an Präsident John F. Kennedy (1917-1963) im Frühjahr 1961 - zu jener Zeit also, als die Weltöffentlichkeit den vor einem Jerusalemer Gericht stattfindenden Prozess gegen Adolf Eichmann (1906-1962) verfolgte. Eichmann - schrieb Günther Anders damals - ist „der Mann, der die Maschinerie als Vorwand für Gewissenlosigkeit ausgibt", Eatherly ist „der Mann, der die Maschinerie als die furchtbare Bedrohung des Gewissens durchschaut". Günther Anders hat diesen Claude Eatherly bewundert, der das Einmalige schaffte: seine Gewissens-