Laufmal werfen. Ich schlug einen Bodenball zum Shortstop, aber anstatt zum zweiten Laufmal, warf er ihn wieder zum ersten, wo sich Danny Saunders danach reckte und den Ball abfing. Aber ich traf den Ball und hörte den Schiedsrichter rufen: »Alle Mann sicher! Einer drinnen!« Und jeder aus unserer Mannschaft klopfte Sidney Goldberg auf die Schulter. Mr. Galanter grinste breit. »Da bin ich wieder«, sagte ich zu Danny Saunders, der ganz in der Nähe stand und sein Laufmal bewachte. »Wann hast du zuletzt deine Tzitzlt gerieben?« Er,sah mich an, dann wandte er sich ohne eine Miene zu verziehen ab. Jetzt stand Schwartzie auf dem Schlagmal und schwang seinen Schläger. »Paß gut auf!« rief ich unserem Mann am dritten Laufmal zu, der seinen Lauf offenbar unbedingt nach Hause bringen wollte. »Wir haben erst einen draußen.« »Keine Frage«, signalisierte er mit der Hand. Schwartzie hatte zwei Bälle und einen Fehlschlag auf dem Konto, und ich sah zu, wie er ausholte, um den vierten Ball zu treffen. Der Läuferam dritten Laufmal rannte los und war gerade auf halbem Wege die Linie entlang, als der Schläger den Ball in einem geraden, harten Schlag zum dritten Laufmal schickte, wo das magere bebrillte Kerlchen mit dem greisenhaften Gesichtsausdruck Wache hielt und den Ball mehr mit dem Bauch als mit dem Handschuh abfing, es irgendwie schaffte, ihn unter Kontrolle zu bekommen und festzuhalten, und danach vor Erstaunen und Verblüffung reglos stehen blieb. Auf dem Weg zurück zum ersten Laufmal sah ich unseren Mann vom dritten Laufmal, der sich gerade auf halber Strecke zum Schlagmal befand, auf der Stelle kehrt machen und wie wild wieder zurückrennen. »Stell dich auf das Mal!« schrie Danny Saunders auf jiddisch quer übers Spielfeld, und mehr aus Gehorsam, als weil ihm richtig klar war, worum es ging, setzte der magere kleine Kerl seinen Fuß auf das Mal. Die Jeschiwa-Mannschaft heulte vor Freude auf und rannte vom Platz. Danny Saunders sah mich an, setzte an, irgend etwas zu sagen, hielt wieder inne und machte sich schnell davon. Ich sah Mr. Galanter mit grimmiger Miene zur Linie beim dritten Laufmal gehen. Der Rabbi blickte von seinem Buch auf und lächelte. Ich nahm meine Position beim zweiten Laufmal ein, und Sidney Goldberg kam zu mir herüber. 26 »Warum mußte der Kerl dermaßen loslaufen?« fragte er. Ich warf unserem dritten Baseman, der niedergeschlagen neben Mr. Galanter stand, einen wütenden Blick zu. »Der hatte es wohl verdammt eilig, den Krieg zu gewinnen«, bemerkte ich bitter. »So ein Trottel«, sagte Sidney Goldberg. »Goldberg, geh auf deine Position!« rief Mr. Galanter. Seine Stimme hatte einen wütenden Unterton. »Haltet das Innenfeld zusammen!« Sidney Goldberg nahm sofort seine Position ein. Ich blieb stehen und wartete. Es war heiß, und ich schwitzte in meiner Kluft. Ich spürte, wie die Brillenbügel in die Haut über meinen Ohren einschnitten, nahm die Brille kurz ab, massierte die gereizten Stellen mit dem Finger und setzte sie schnell wieder auf, denn Schwartzie holte gerade aus. Ich nahm eine geduckte Haltung ein und erinnerte mich an das Versprechen, das Danny Saunders seiner Mannschaft gegeben hatte, daß sie uns Apikor-sim erledigen würden. Dieses Wort bezeichnete im ursprünglichen Sinne Juden, die zwar im Geiste des Judentums erzogen waren, aber wichtige Grundsärze ihres Glaubens verleugneten, wie die Existenz Gottes, die Offenbarung und die Auferstehung der Toten. Für Leute wie Rebbe Saunders gehörten auch gebildete Juden dazu, die, sagen wir einmal, Darwin lasen, keine Schläfenlocken hatten und die Schaufäden nicht über der Hose trugen. Für Danny Saunders war ich ein Apikoros, trotz meines Glaubens an Gott und die Tora, weil ich keine Schläfenlocken- trug und eine Konfessionsschule besuchte, in der zu viele englische Fächer auf dem Lehrplan standen und wo die jüdischen auf hebräisch anstatt in Jiddisch unterrichtet wurden, beides unerhörte Sünden, ersteres, weil es Zeit stahl, die man für das Studium der Tora benötigte, letzteres, weil Hebräisch die heilige Sprache war, und es bei einem gewöhnlichen Vortrag im Klassenzimmer zu gebrauchen, eine Entweihung von Gottes Namen bedeutete. Tatsächlich hatte ich nie zuvor persönlichen Kontakt mit dieser Art Juden gehabt. Mein Vater hatte mir gesagt, daß er nichts gegen ihre Glaubenssätze habe. Was ihn jedoch ärgerte, war ihre fanatische Überzeugung, die einzig Rechtgläubigen zu sein, ihre absolute Sicherheit, daß sie, und nur sie allein, Gottes Ohr hätten, und daß jeder andere Jude im Irrtum war, völlig im Unrecht, ein Sünder, ein Heuchler, ein Apikoros, und deshalb dazu verdammt, in der Hölle zu schmoren. Ich war wieder dabei, mich zu fragen, wie sie gelernt hatten, einen Ball auf diese Art zu schlagen, wenn 27 doch die Zeit fiir das Studium der Tora für sie so wertvoll war, und weshalb sie einen Rabbi mitgeschickt hatten, der seine Zeit damit vergeudete, während eines Baseballspiels auf einer Bank herumzusitzen. Während ich auf dem Feld stand und beobachtete, wie der Schlagmann einen hohen Ball verfehlte, überkam mich plötzlich eine große Wut, und das war fiir mich der Zeitpunkt, an dem das Spiel aufhörte, nur ein Spiel zu sein, und zum Krieg ausartete. Alle Freude und Spannung war jetzt verschwunden. Irgendwie hatte die Mannschaft der Jeschiwa dieses nachmittägliche Baseballspiel zu einem Konflikt gemacht zwischen dem, was sie als ihre Rechtgläubigkeit und unsere Sündhaftigkeit betrachteten. Ich spürte, wie meine Wut immer größer wurde, und daß sie anfing, sich auf Danny Saunders zu konzentrieren, und plötzlich war es gar nicht mehr schwer für mich, ihn zu hassen. Schwartzie hatte funfvon ihnen während der ersten Hälfte des Durchgangs bis zum Schlagmal durchkommen lassen, und einer von ihnen konnte punkten. Irgendwann in diesem Spielabschnitt hatte ein Mitglied der Jeschiwa-Mannschaft uns auf jiddisch zugerufen: »Schmort in der Hölle, ihr Apikorsim!« Und als der halbe Durchgang vorüber war und wir um Mr. Galanter herum in der Nähe des Schutzzaunes standen, war uns allen klar, daß dies kein normales Baseballspiel mehr war. Mr. Galanter schwitzte heftig, und sein Gesicht war grimmig verzogen. Das einzige, was er sagte, war: »Von jetzt an kämpfen wir vorsichtig. Keine Fehler mehr.« Er sagte dies sehr ruhig, und wir waren dann auch alle still, als der Schlagmann seine Position einnahm. Wir begannen mit einem langsamen, auf Sicherheit bedachten Spiel, schlugen nur, wenn wir mußten, brachten Opfer, nur um Läufer vorwärts zu bringen, und befolgten Mr. Galantere Anordnungen. Ich bemerkte, daß die Jeschiwa-Mannschaft immer zu Danny Saunders warf, egal auf welchem Laufmal unsere Leute standen, und mir wurde klar, daß sie das nur deshalb taten, weil er der einzige Feldspieler war, der zuverlässig ihre unkontrollierten Bälle erreichte. Irgendwann während dieses Spielabschnitts trat ich hinter den Rabbi und blickte ihm über die Schulter auf das Buch, das er gerade las. Ich sah, daß es ein jiddischer Text war. Ich ging zum Schutzzaun zurück. Davey Cantor kam zu mir herüber und stellte sich neben mich, sagte aber keinen Ton. Wir machten nur einen Punkt in diesem Durchgang und gingen in Untergangsstimmung in die erste Hälfte des dritten Durchgangs. Dov Shlomowitz kam zum Schlagmal. Er stand dort wie ein Bär, der Schläger sah in seinen fleischigen Händen wie ein Streichholz aus. Schwartzie machte einen Wurf, und Shlomowitz schlug den Ball sauber über den Kopf des dritten Baseman, was als Single gezählt wurde. Die Jeschiwa-Mannschaft heulte auf, und wieder rief uns einer auf jiddisch zu: »Schmort in der Hölle, ihr Apikorsim!« Sidney Goldberg und ich sahen uns wortlos an. Mr. Galanter stand neben dem dritten Laufmal und wischte sich die Stirn. Der Rabbi saß ruhig da und las in seinem Buch. Ich nahm meine Brille ab und rieb mir die Stelle hinter den Ohren. Ich hatte plötzlich das Gefühl, als ob alles irreal sei, als ob das Spielfeld mit dem schwarzen Asphaltboden und den weißen Linien jetzt meine ganze Welt wäre; als ob mich die vergangenen Jahre meines Lebens auf einem vorgezeichneten Weg genau in dieses Spiel hier geführt hätten und mein ganzes zukünftiges Leben vom Ergebnis dieses Spiels abhinge. Einen kurzen Augenblick stand ich da, hielt die Brille in der Hand und hatte Angst. Dann holte ich tief Luft, und das Gefühl verschwand. Es ist nur ein Ballspiel, sagte ich mir. Was ist schon ein Ballspiel? Mr. Galanter schrie uns zu, wir sollten weiter zurückgehen. Ich stand ein paar Schritte links vom zweiten Laufmal und trat zwei Schritte zurück. Ich sah, wie Danny Saunders mit schwingendem Schläger zum Schlagmal ging. Die Jeschiwa-Mannschaft rief ihm auf jiddisch zu, er solle uns Apikorsim erledigen. Schwartzie wandte sich um und warfeinen prüfenden Blick über das Feld. Er sah nervös aus und brauchte eine Weile dazu. Sidney Goldberg stand aufrecht und wartete. Wir sahen uns an, dann trennten sich unsere Blicke. Mr. Galanter stand regungslos ganz in der Nähe des dritten Laufmals und beobachtete Schwartzie. Der erste Ball war zu flach, und Danny Saunders beachtete ihn gar nicht. Der zweite kam auf Schulterhöhe, und noch bevor er zwei Drittel der Entfernung zum Schlagmal hinter sich hatte, stand ich schon am zweiten Laufmal. Mein Handschuh ging in die Höhe, als der Schläger den Ball traf, und ich sah, wie der Ball in einer geraden Linie genau über Schwartzies Kopf, hoch über ihn, hinwegschoß, so daß dieser nicht einmal Zeit gehabt hatte, nach dem Wurf sein Gleichgewicht wiederzufinden, bevor der Ball über ihn hinwegflog. Ich sah Dov Shlomowitz auf mich zulaufen und Danny Saunders zum ersten Laufmal rennen, und ich hörte die Jeschiwa-Mannschaft rufen und Sidney Goldberg schreien, und ich sprang mit aller Kraft, die ich in den Beinen hatte, vom Boden ab und streckte meine Fanghand so sehr, daß ich glaubte, sie würde aus meiner Schulter gerissen. Der Ball schlug mit solcher 28 29 Wucht in meinen Fanghandschuh ein, daß meine Hand wie betäubt war und etwas wie ein elektrischer Schlag durch meinen ganzen Körper fuhr, und ich spürte, wie es mich mit Wucht umriß und ich hart auf Hüfte und Ellenbogen aufprallte. Ich sah Dov Shlomowitz herumwirbeln und in Richtung erstes Laufmal rennen, und ich hievte mich hoch in eine Sitzhaltung und warf den Ball ungeschickt Sidney Goldberg zu, der ihn auffing und zum ersten Laufmal abspielte. Ich hörte, wie der Schiedsrichter »Aus!« schrie, und Sidney Goldberg rannte zu mir herüber, um mir auf die Beine zu helfen, mit ungläubigem Bück und ekstatischer Freude im Gesicht. Mr. Galanter rief »Auszeit« und kam auf das Feld gerannt. Schwartzie stand mit offenem Mund auf seiner Wurfposition. Danny Saunders verharrte ein paar Schritte entfernt vom ersten Laufmal auf der Seitenauslinie, wo er stehengeblieben war, nachdem ich den Ball gefangen hatte, und starrte mich mit versteinertem Gesicht an. Auch der Rabbi starrte mich an, und die ganze Jeschiwa-Mannschaft war totenstill. »Den hast du toll gefangen, Reuven«, sagte Sidney Goldberg und schlug mir heftig auf den Rücken. »Sensationell!« Ich sah, daß der Rest unserer Mannschaft plötzlich wieder lebendig geworden war, den Ball hin- und herwarf und dabei über das Spiel sprach. Mr. Galanter kam herbei. »Alles in Ordnung, Malter?« fragte er. »Laß mich deinen Ellenbogen sehen.« Ich zeigte ihm den Ellenbogen. Er war aufgeschürft, aber die Haut war nicht stark verletzt. »Gut gespielt.« Er strahlte mich an. Sein Gesicht war noch immer schweißbedeckt, aber jetzt lachte er fröhlich. »Danke, Mr. Galanter.« »Was macht die Hand?« »Sie tut ein bißchen weh.« »Laß mich mal sehen.« Ich zog den Handschuh aus, und Mr. Galanter untersuchte die Finger und das Handgelenk, »Tut das weh?« fragte er. »Nein«, log ich. »Willst du weiterspielen?« »Natürlich, Mr. Galanter.« »In Ordnung«, sagte er, lächelte mich an und klopfte mir auf den Rücken. »Wir werden dich für einen Orden vormerken, Malter.« 30 Ich grinste ihn an. »Okay«, sagte Mr, Galanter. »Haltet das Innenfeld geschlossen!« Lächelnd ging er wieder weg. »Ich kann es immer noch nicht fassen, daß du den gefangen hast«, sagte Sidney Goldberg. »Du hast aber auch einen Spitzenwurf zum ersten Laufmal gemacht«, lobte ich ihn. »Ja, während du auf deinen vier Buchstaben gesessen hast«, sagte er. Wir grinsten einander an und gingen auf unsere Positionen. Noch zwei weitere Spieler der Jeschiwa-Mannschaft waren in diesem Durchgang am Schlag. Der erste erzielte einen Single, der zweite schickte einen hohen Flugball zum Shortstop, den Sidney Goldberg fing, ohne sich groß zu bewegen. Wir punkteten mit zwei Home runs in diesem Durchgang und mit einem im nächsten, und zu Beginn der ersten Hälfte des fünften Durchgangs führten wir fünf zu drei. Vier ihrer Leute hatten den Ball in der ersten Hälfte des vierten Durchgangs geschlagen, und sie hatten, aufgrund eines Fehlers im Spiel auf das erste Schlagmal, nur ein Single erreicht. Als wir zur ersten Hälfte des fünften Durchgangs den Platz betraten, wanderte Mr. Galanter schwitzend und lächelnd in der Nähe des dritten Laufmals auf und ab und wischte sich nervös über den Kopf. Der Rabbi las nicht mehr; bei der Jeschiwa-Mannschaft herrschte Totenstille. Davey Cantor war am zweiten Laufmal, ich stand auf der Position des Werfers. Schwartzie hatte Erschöpfung vorgeschützt, und da dies der letzte Spielabschnitt war - -der Stundenplan unserer Schule erlaubte uns nur Spiele mit fünf Durchgängen - und somit auch die letzte Möglichkeit für die Jeschiwa-Mannschaft, den Ball zu schlagen, ging Mr. Galanter kein Risiko mehr ein und stellte mich als Werfer auf. Davey Cantor war kein guter Feldspieler, aber Mr. Galanter setzte auf mich als Werfer, um das Spiel zu beenden. Meine linke Hand schmerzte immer noch vom Fangen jenes Balles, und das Handgelenk tat mir jedesmal weh, wenn ich einen Ball fing, aber meine rechte Hand war in Ordnung, und meine Bälle waren schnell und machten genau dann eine Kurve, wenn ich es wollte. Dov Shlomowitz stand am Schlagmal und versuchte dreimal Bälle zu erwischen, die für ihn aussahen, als wären sie leicht zu treffen, schlug aber nur Löcher in die Luft. Nach dem dritten Schlag stand er verdutzt da, dann schlich er davon. Wir warfen den Ball einmal im Innenfeld um die Runde, und schließlich kam Danny Saunders zum Schlagmal. 31 Die Spieler der Jeschiwa-Mannschaft standen hinter dem Schutzzaun und beobachteten Danny Saunders. Sie waren auffallend still. Der Rabbi saß auf der Bank, sein Buch war geschlossen. Mr. Galanter rief allen zu, zurückzutreten. Danny Saunders schwang seinen Schläger ein paarmal, dann nahm er eine feste Stellung ein und sah zu mir herüber. Da hast du ein Geschenk von einem Apikoros, dachte ich, und watf den Ball. Er kam schnell und gerade, und ich sah Danny Saunders' linken Fuß vorschnellen, seinen Schläger nach oben gehen. Sein Körper begann sich zu drehen. Er holte genau in dem Moment aus, als der Ball eincKurve machte, der Schläger hieb wild durch die Luft, wirbelte ihn herum und brachte ihn aus dem Gleichgewicht. Sein schwarzes Käpp-chen fiel ihm vom Kopf, aber er fand sein Gleichgewicht wieder, bückte sich und hob es schnell auf. Für einen Augenblick stand er ganz ruhig da und starrte mich an. Dann nahm er seine Position am Schlagmal wieder ein. Derjenige, der den Ball gefangen hatte, gab ihn an mich zurück, und als ich ihn auffing, tat mein Handgelenk weh. Die Jeschiwa-Mannschaft war still, und der Rabbi hatte angefangen, sich auf die Lippen zu beißen. Ich verlor die Kontrolle über den nächsten Ball, und er ging weit daneben. Beim dritten Wurf machte ich eine lange, kunstvolle Ausholbewegung und schickte ihm einen langsamen Ball mit viel Effet hinüber, einen, den der Schlagmann immer zu treffen glaubt und doch immer verpaßt. Er ignorierte ihn völlig, und der Schiedsrichter gab den Ball gut. Ich fühlte, wie mein linkes Handgelenk zu pochen anfing, als ich den Ball vom Fänger zurückerhielt. Mir war heiß, ich schwitzte, und meine Brillenbügel schnitten tief in die Haut über meinen Ohren ein, was von den Kopfbewegungen kam, die ich beim Werfen machte. Danny Saunders stand ganz ruhig am Schlagmal und wartete. Okay, dachte ich und verspürte richtigen Haß ihm gegenüber. Hier hast du noch ein Geschenk. Der Ball flog schnell und gerade zum Schlagmal und ging genau unterhalb seines Schlägers zu Boden. Nach Kräften versuchte er, den Schwung auszupendeln, aber wieder verlor er das Gleichgewicht und machte zwei, drei taumelnde Schritte vorwärts, bis er sich wieder gefangen hatte. Der Fänger warf den Ball zurück, und ich zuckte vor Schmerzen im Handgelenk zusammen. Um den Schmerz abklingen zu lassen, nahm ich den Ball aus dem Fanghandschuh und hielt ihn in meiner rechten Hand, wandte mich kurz um und blickte über das Spielfeld. Als ich mich wieder umdrehte, sah ich, daß Danny Saunders sich nicht bewegt hatte. Er hielt seinen Schläger in der linken Hand, stand regungslos da und starrte mich an. Seine Augen waren dunkel, und um seinen Mund zeigte sich ein idiotisches Grinsen. Ich horte den Schiedsrichter »Spielt den Ball!« rufen, aber Danny Saunders stand da, starrte mich an und grinste. Ich drehte mich um und schaute nochmal aufs Spielfeld, und als ich mich wieder umwandte,- stand er noch immer da und starrte mich grinsend an. Ich konnte seine Zähne zwischen den geöffneten Lippen sehen. Ich atmete tief ein und spürte, daß ich schweißnaß war. Ich wischte meine rechte Hand an der Hose ab und sah Danny Saunders langsam zum Schlagmal gehen und seine Position einnehmen. Jetzt grinste er nicht mehr. Er schaute mich über sei ne rechte Schulter hinweg an, stand da und wartete. Wegen der Schmerzen in meinem Handgelenk wollte ich das Spiel schnell beenden und warf einen weiteren schnellen Ball zu ihm hinüber. Ich beobachtete, wie er direkt auf das Schlagmal zuflog. Ich sah, wie Danny plötzlich in die Knie ging, und im Bruchteil einer Sekunde, noch bevor er den Ball traf, wurde mir klar, daß er die Flugbahn vorausgesehen hatte und absichtlich tief schlug. Ich war vom Wurf noch ein wenig aus dem Gleichgewicht, aber es gelang mir, meine Hand mit dem Handschuh noch genau in dem Moment vor mein Gesicht zu bringen, in dem er den Ball traf Ich sah ihn auf mich zukommen, aber ich konnte nichts tun. Er ttaf die Finger meines Handschuhs, prallte ab und krachte auf den oberen Rand meines linken Brillenglases, prallte von meiner Stirn ab und schlug mich zu Boden. Ich fuchtelte wild herum und versuchte, den Ball zu fassen zu kriegen, aber als ich ihn endlich hatte, stand Danny Saunders sicher auf dem ersten Laufmal. Ich hörte Mr. Galanter eine Auszeit verlangen, und alle auf dem Feld rannten zu mir herüber. Meine Brille lag zerbrochen auf dem Asphaltboden, und ich fühlte einen stechenden Schmerz in meinem linken Auge, wenn ich blinzelte. Mein Handgelenk pochte, und ich spürte, wie eine Beule auf meiner Stirn wuchs. Ich blickte zum ersten Laufmal hinüber, aber ohne Brille war Danny Saunders nur ein undeutlicher Fleck. Ich bildete mir ein, ich könnte ihn immer noch grinsen sehen. Ich sah, wie Mr. Galanters Gesicht sich über meines beugte. Es war verschwitzt und besorgt. Ich wunderte mich über die ganze Aufregung. Ich hatte nur meine Brille verloren, und wir hatten mindestens noch zwei gute Werfer in unserer Mannschaft. 33 »Alles in Ordnung, Junge?« fragte Mr. Galanter. Er besah sich mein Gesicht und meine Stirn. »Ich brauche ein mit kaltem Wasser angefeuchtetes Taschentuch«, rief er. Ich wunderte mich, warum er so laut rief. Sein Rufen tat weh in meinem Kopf und klingelte mir in den Ohren. Ich sah, wie Davey Cantor aufgescheucht davonlief. Ich hörte Sidney Goldberg etwas sagen, konnte aber nichts verstehen. Mr. Galanter legte seinen Arm um meine Schulter und brachte mich vom Platz. Er setzte mich neben den Rabbi auf die Bank. Ohne meine Brille verschwamm alles, was mehr als drei Meter von mir entfernt war. Ich blinzelte und fragte mich, was mit meinem linken Auge los sei. Ich horte Stimmen und Rufe, dann legte Mr. Galanter ein nasses Taschentuch auf meinen Kopf. »Ist dir schwindlig, Junge?« fragte er. Ich schüttelte den Kopf. »Bist du ganz sicher?« »Mir geht es gut«, sagte ich und wunderte mich, warum meine Stimme heiser klang und mir beim Reden der Kopfweh tat. »Du bleibst still da sitzen«, sagte Mr. Galanter. »Wenn es dir schwindlig wird, läßt du es mich sofort wissen.« »Ja, Sir«, antwortete ich. Er ging weg. Ich saß neben dem Rabbi auf der Bank, der mich einmal anschaute und sich dann wieder abwandte. Ich hörte Rufe auf jiddisch. Der Schmerz in meinem linken Auge war so heftig, daß ich ihn bis ans Ende meiner Wirbelsäule spüren konnte. Ich saß noch lange auf der Bank, lange genug, um uns mit einem Ergebnis von acht zu sieben verlieren zu sehen, lange genug, um das Jubelgeschrei der Jeschiwa-Mannschaft hören zu können, lange genug, um wegen des Schmerzes in meinem linken Auge anzufangen zu weinen, so lange, bis nach Ende des Spiels Mr. Galanter zu mir herüberkam, mein Gesicht betrachtete und vom Platz rannte, um ein Taxi zu rufen. 34 Kapitel 2 Wir fuhren zum Brooklyn Memorial Hospital, das ein paar Häuserblocks entfernt lag. Mr. Galanter bezahlte das Taxi. Er half mir beim Aussteigen, legte seinen Arm um meine Schultern und brachte mich in die Notaufnahme. »Laß das Taschentuch auf deinem Auge«, sagte er. »Und versuche, nicht zu blinzeln.« Er war sehr nervös, sein Gesicht war schweißbedeckt. Er hatte sein Käppchen abgenommen, und ich konnte sehen, wie ihm die wcnigenHaare schweißnaß am Kopf klebten. »Ja, Sir«, sagte ich. Ich hatte Angst, und es wurde mir langsam schwindlig und übel. Mein linkes Auge schmerzte heftig. Ich fühlte den Schmerz in der linken Körperhälfte bis hinunter zur Leiste. Die Krankenschwester am Empfang wollte wissen, was geschehen war. »Er ist von einem Baseball am Auge getroffen worden«, sagte Mr. Galanter. Sie forderte uns auf, Platz zu nehmen, und drückte einen Knopf an ihrem Tisch. Wir setzten uns neben einen Mann mittleren Alters, der einen blutigen Verband um einen Finger der rechten Hand trug. Er hatte offensichtlich große Schmerzen, hielt seinen Finger ruhig in seinem Schoß und rauchte nervös eine Zigarette trotz des Schildes an der Wand mit der Aufschrift »Rauchen verboten«. Er sah uns an. »Vom Ballspielen?« fragte er. Mr. Galanter nickte. _ Ich hielt meinen Kopf gerade, denn er tat weniger weh, wenn ich ihn nicht bewegte. Der Mann hob seinen Finger in die Höhe. »Autotür«, sagte er. »Mein Kleiner hat sie zugeworfen, und ich hatte die Finger dazwischen.« Er zog eine Grimasse und legte seine Hand wieder in den Schoß. Eine Schwester kam durch eine Tür am anderen Ende des Zimmers und nickte dem Mann zu. Er erhob sich. »Mach's gut«, sagte er und ging hinaus. »Wie geht's dir?« fragte mich Mr. Galanter »Mein Auge tut weh«, sagte ich. »Wie stehts mit dem Kopf?« »Mir ist schwindlig.« »Ist dir schlecht?« »Ein bißchen.« »Das wird schon wieder«, sagte Mr. Galanter und versuchte, aufmunternd zu klingen. 35 T »Du bekommst einen Orden für deine heutige Leistung, Soldat.« Aber seine Stimme klang angespannt, und er sah ängstlich aus. »Das tut mir alles so leid, Mr. Galanter«, sagte ich. »Das muß dir nicht leid tun, Junge. Du hast ein tolles Spiel gemacht.« »Es tut mir leid, daß ich Ihnen so viele Unannehmlichkeiten mache.« »Was denn für Unannehmlichkeiten? Red keinen Unsinn. Ich bin froh, daß ich einem meiner Jungs helfen kann.« »Es tut mir auch leid, daß wir verloren haben.« »Dann haben wir eben verloren. Na und? Es gibt ein nächstes Mal, odei nicht?« »Ja, Sir.« »Rede nicht so viel. Mach dir nichts draus.« »Die sind ein unangenehmer Gegner.« »Dieser junge Saunders«, sagte Mr. Galanter, »der dich getroffen hat. Weißt du etwas über ihn?« »Nein, Sir.« »Ich habe noch nie jemanden einen Ball so schlagen sehen.« »Mr. Galanter?« »Ja?« »Mein Auge tut wirklich weh.« »Wir kommen gleich dran, mein Junge. Halte durch. Ist dein Vater jetzt wohl zu Hause?« »Ja, Sir.« »Wie ist deine Telefonnummer?« Ich gab sie ihm. Eine Schwester kam durch die Tür und nickte uns zu. Mr. Galanter half mir auf. Wir folgten der Schwester durch den Flur in ein Behandlungszimmer. Es hatte weiße Wände, einen weißen Stuhl, einen weißen Glasschrank und einen hohen Metalltisch mit einem weißen Leintuch über der Matratze. Mr. Galanter half mir auf den Tisch. Ich lag da und starrte mit meinem rechten Auge die weiße Zimmerdecke an. »Der Doktor wird gleich hier sein«, sagte die Krankenschwester und ging hinaus. »Fühlst du dich etwas besser?« fragte Mr. Galanter. »Nein«, sagte ich. Ein junger Arzt kam herein. Er hatte einen weißen Kittel an und trug ein Stethoskop um den Hals. Er sah uns freundlich lächelnd an. »Ich habe gehört, du hast einen Ball mit dem Auge gestoppt«, sagte er lächelnd zu mir. »Schauen wir uns das mal an.« 36 Ich nahm das feuchte Taschentuch ab, öffnete mein linkes Auge und stöhnte vor Schmerzen. Er schaute in das Auge, ging zum Schrank, kam zurück und schaute noch einmal durch ein Instrument, an dem ein Licht angebracht war. Er richtete sich auf und blickte Mr. Galanter an. »Hat er eine Brille getragen?« fragte er. »Ja.« Der Arzt hielt das Instrument wieder über das Auge. »Kannst du das Licht sehen?« fragte er mich. »Es ist ein bißchen verschwommen«, sagte ich. »Ich denke, ich werde deinen Vater anrufen«, sagte Mr. Galanter. Der Arzt blickte ihn an. »Sind Sie nicht der Vater des Jungen?« »Ich bin sein Sportlehrer.« »Dann rufen Sie besser seinen Vater an. Wir werden ihn wahrscheinlich nach oben bringen.« »Werden Sie ihn hierbehalten?« »Für eine Weile«, sagte der Doktor freundlich. »Nur eine Vorsichtsmaßnahme.« »Oh«, sagte Mr. Galanter. »Könnten Sie meinen Vater bitten, mir meine andere Brille zu bringen?« sagte ich. »Du wirst eine Zeitlang keine Brille tragen können, mein Sohn«, sagte der Arzt zu mir. »Wir werden dir dein Auge verbinden müssen.« »Ich bin gleich zurück«, sagte Mr. Galanter und verschwand. »Wie geht es deinem Kopf?« fragte mich der Arzt. »Er tut weh.« »Tut das weh?« fragte er und bog meinen Kopf hin und her. Ich fühlte, wie mir der kalte Schweiß ausbrach. »Ja, Sir«, sagte ich. »Ist dir schlecht?« »Ein bißchen«, sagte ich, »mein linkes Handgelenk tut mir auch weh.« »Laß mal sehen. Tut das weh?« »Ja, Sir.« »Na, da hattest du wirklich einen harten Tag. Wer hat gewonnen?« »Die anderen.« »Schade. Paß auf, du bleibst so ruhig wie möglich liegen und versuchst, nicht mit den Augen zu zwinkern. Ich bin sofort wieder zurück.« Er ging rasch hinaus. Ich lag ganz ruhig auf dem Tisch. Abgesehen von damals, als mir die Mandeln herausgenommen worden waren, hatte ich noch nie eine 37 Nacht im Krankenhaus verbracht. Ich hatte Angst und fragte mich, was den Schmerz in meinem Auge verursachte. Ein Splitter vom Brillenglas muß es verletzt haben, dachte ich. Ich fragte mich, warum ich es nicht vorausgesehen hatte, daß Danny Saunders auf den Kurvenball setzen würde, und während ich an Danny Saunders dachte, merkte ich, wie ich ihn und all die schläfengelockten Schaufädenträger seines Jeschiwa-Teams haßte. Als ich mir vorstellte, wie mein Vater den Anruf von Mr. Galanter bekam und dann ins Krankenhaus eilte, mußte ich meine Tränen unterdrücken. Wahrscheinlich saß er gerade an seinem Schreibtisch und arbeitere. Der Anruf würde ihn furchtbar ängstigen. Ich spürte, daß ich meine Tränen nicht länger zurückhalten konnte, blinzelte ein paarmal und zuckte vor Schmerz zusammen. Der junge Arzt kam zurück und hatte jetzt einen anderen Arzt bei sich. Dieser sah etwas älter aus und hatte blondes Haar, Er kam wortlos auf mich zu und blickte mit dem Instrument in mein Auge. Er wirkte angespannt. »Ist Snydman hier?« fragte er und schaute durch das Instrument. »Ich habe ihn vor ein paar Minuten gesehen«, sagte der erste Arzt. »Er sollte sich das besser mal anschauen«, sagte der zweite Arzt. Er richtete sich langsam auf, »Du bleibst jetzt ruhig liegen, mein Sohn«, sagte der erste Arzt. »Die Schwester wird gleich hier sein,« Sie gingen hinaus. Eine Schwester kam herein und lächelte mich an, »Das wird jetzt überhaupt nicht weh tun«, meinte sie und tat mir ein paar Tropfen in mein linkes Auge. »Laß es zu und leg das Stückchen Mull darauf. So ist es brav.« Sie ging hinaus. Mr. Galanter kam zurück. »Dein Vater ist auf dem Weg hierher«, sagte er. »Wie hat er reagiert?« »Ich weiß nicht. Er sagte, er sei gleich da.« »Es ist nicht gut, wenn er sich Sorgen macht. Es geht ihm nicht so gut.« »Es wird schon wieder, mein Junge. Das ist ein gutes Krankenhaus. Was macht dein Auge?« »Es ist besser. Sie haben Tropfen reingetan.« »Gut. Gut. Ich habe dir ja gesagt, das ist ein gutes Krankenhaus. HaK hier meinen Blinddarm rausbekommen.« Drei Männer kamen ins Zimmer, die beiden Ärzte und ein kleiner Mann mittleren Alters mit einem runden Gesicht und einem grauen Schnurrbart. Er hatte dunkles Haar und trug keinen Kittel. »Das ist Dr. Snydman, mein Sohn«, sagte der erste Arzt zu mir. »Er will sich mal dein Auge ansehen.« Dr. Snydman kam lächelnd auf mich zu. »Wie ich höre, hast du ein hartes Spiel hinter dich gebracht, junger Mann. Schauen wir uns das mal an.« Er hatte ein warmes Lächeln, und ich mochte ihn auf Anhieb. Er entfernte den Mull von meinem Auge und schaute durch das Instrument. Er sah sehr lange in das Auge. Dann richtete er sich langsam auf und wandte sich an Mr. Galanter. »Sind Sie der Vater des Jungen?« »Ich habe seinen Vater benachrichtigt«, sagte Mr. Galanter. »Er wird gleich da sein.« »Wir brauchen seine Unterschrift«, sagte Dr. Snydman, Er wandte sich an die anderen beiden Ärzte. »Ich denke nicht«, sagte er. »Ich glaube, es ist hart an der Grenze. Ich muß es mir oben noch genauer ansehen.« Freundlich lächelnd wandte er sich nun mir zu. »Ein Auge taugt kaum dazu, einen Ball zu stoppen, junger Mann.« »Er hat ihn wirklich sehr gut getroffen«, sagte ich. »Das sieht man. Wir werden dich nach oben bringen lassen, damit wir uns das genauer ansehen können.« Die drei Arzte gingen hinaus. »Was meint er damit, nach oben?« fragte ich Mr. Galanter. »Die Augenabteilung, vermute ich. Sie haben all die großen Instrumente oben.« »Weshalb wollen sie mich oben untersuchen?« »Das weiß ich nicht, mein Junge. Sie haben mir nichts gesagt.« Zwei Krankenpfleger kamen mit einer fahrbaren Liege ins Zimmer. Als sie mich vom Untersuchungstisch hoben, schoß mir ein Schmerz durch den Kopf, daß ich plötzlich schwarze, rote und weiße Blitze vor Augen hatte. Ich schrie auf. »Tut mir leid, Kleiner«, sagte einer der Pfleger mitfühlend. Sie hoben mich vorsichtig auf die Liege und schoben mich hinaus und durch den Korridor. Mr. Galanter folgte uns. »Der Aufzug ist da«, sagte der eine. Beide waren sehr jung und sahen mit ihren weißen Jacken, Hosen und Schuhen fast gleich aus. Der Aufzug brauchte eine Ewigkeit nach oben. Ich lag auf der Trage und starrte mit meinem rechten Auge hoch zu dem Neonlicht an der Decke. Es war verschwommen, und ich sah, wie die Farbe von Weiß über Rot zu Schwarz überging und wieder zurück zu Weiß. 38 39 »Noch nie habe ich solch ein Lichr gesehen«, sagce ich. »Was für ein Licht?« fragte einer der Krankenpfleger. »Das Neonlicht. Wie schaffen die das, daß es die Farbe dauernd wechselt?« Die Pfleger schauten einander an. »Mach dir nichts draus, Kleiner«, sagte einer von ihnen. »Entspann dich nur.« »Ich habe noch nie ein Licht so die Farben wechseln sehen«, sagte ich. »Mein Gott«, murmelte Mr. Galanter ganz leise. Erstand neben der Prirsche, mit dem Rücken an die Wand des Aufzugs gelehnt. Ich versuchte, ihm meinen Kopf zuzudrehen, aber der .Schmerz war zu stark, und so blieb ich still liegen. Ich hatte ihn nie zuvor dieses Wort gebrauchen hören, und deshalb fragte ich mich, warum er es jetzt benutzte. So lag ich da, starrte auf das Licht und fragte mich, weshalb Mr. Galanter dieses Wort gebraucht hatte, als ich bemerkte, wie einer der Pfleger mir einem beruhigenden Grinsen auf mich niederblickte. Da fiel mir Danny Saunders ein, wie er mit diesem idiotischen Grinsen im Gesichr am Schlagmal gesranden und mich fixiert hatte. Ich machte mein rechtes Auge zu und hörte auf das Geräusch des Aufzugs. Das ist ein langsamer Aufzug, dachte ich. Aber wie bringen sie es fertig, daß das Licht die Farben wechselt? Dann war das Licht auf einmal sehr schlecht und alle drängten sich um mich herum. Irgend jemand wischte mir die Stirn ab, und plötzlich war das Licht weg. Ich öffnete mein rechtes Auge. Eine Schwester in weißer Kleidung fragte, »Na, wie geht es dir jetzt, junger Mann«, und einen Moment lang starrte ich sie an und wußte nicht, was geschehen war. Dann erinnerte ich mich an alles - und ich konnte kein Wort herausbringen. Ich sah die Schwester an meinem Bett stehen und auf mich herablächeln. Sie war ziemlich stämmig, hatte ein rundes, fleischiges Gesicht und kurzes, dunkles Haar. »Dann laß uns mal sehen«, sagte sie. »Beweg deinen Kopf ein bißchen, nur ein bißchen, und sag mir, wie sich das anfühlt.« Ich bewegte meinen Kopf auf dem Kissen von einer Seite auf die andere. »Fühlt sich gut an«, sagte ich. »Das ist prima. Bist du hungrig?« »Ja, Schwester.« 40 »Das ist sehr gut.« Sie lächelte. »Den brauchst du jetzt nicht mehr.« Sie schob den Vorhang beiseite, der um das Bett gespannt war. Ich blinzelte wegen des plötzlichen Sonnenlichts. »Ist es so nicht besser?« »Ja, Schwester. Danke. Ist mein Vater hier?« »Er kommt gleich herein. Lieg jetzt schön ruhig und ruh dich aus. Man wird bald das Abendessen bringen. Es wird alles wieder gut werden.« Sie ging. Für einen Moment lag ich still da und schaute ins Sonnenlicht, das durch die hohen Fenster gegenüber meinem Bett hereinschien. Ich konnte die Fenster nur verschwommen durch mein rechtes Auge sehen. Ich drehte meinen Kopf, ohne ihn vom Kissen zu nehmen, langsam nach links. Ich bewegte ihn vorsichtig, damit der dicke Verband, der mein linkes Auge bedeckte, nicht verrutschte. Ich hatte überhaupt keine Kopfschmerzen mehr, und ich fragte mich, wie sie es fertiggebracht hatten, daß der Schmerz so schnell aufgehört hatte. Das ist ziemlich gut, dachte ich und erinnerte mich daran, was Mr. Galanter über das Krankenhaus gesagt hatte. Ich wunderte mich einen Augenblick, wo er und mein Vater waren. Dann vergaß ich beide und beobachtete den Mann, der im Bett links neben mir lag. Er schien Mitte Dreißig zu sein, hatte breite Schultern, ein hageres Gesicht mit einem kantigen Kinn und schwarzen Stoppeln. Sein Haar war schwarz, ganz flach gekämmt und in der Mitte gescheitelt. Auf dem Rücken seiner großen Hände kräuselten sich kleine schwarze Lok-ken, und er trug eine schwarze Augenklappe über dem rechten Auge. Seine Nase war flach, und eine zentimeterlange Narbe unterhalb seiner Unterlippe hob sich weiß von den dunklen Bartstoppeln ab. Er saß aufrecht im Bett, spielte Karten mit sich selbst und lachte breit. Einige Karten lagen aufgereiht auf der Bertdecke. Aus dem Stapel, den er in der Hand hielt, zog er Karten, die er an die Reihen anlegte. Er bemerkte, daß ich ihn anschaute. »HalLo«, sagte er lächelnd. »Wie geht's dem alten Punchingball?« Ich verstand nicht, was er meinte. »Dem alten Kürbis. Dem Kopf.« »Oh, es geht gut.« »Glückspilz. Ein Schiaggegen den Kopf ist eine schlimme Sache. Ich war mal in der vierten Runde und bekam einen Schlag gegen den Kopf; ich brauchte einen Monat, um wieder auf die Beine zu kommen. 41 Glückspilz.« Er hielt eine Karte in der Hand und sah auf die Kartenreihen auf der Bettdecke. »Ach, dann schummle ich eben ein bißchen. Was ist schon dabei?« Er schob die Karte in eine Reihe. »Ich flog damals so gegen die Seile, daß meine Fußnägel rasselten. Das war vielleicht ein Schlag.« Er zog eine andere Karte und beäugte sie. »Hat mich mit seiner Rechten erwischt und wirklich gut getroffen. Einen ganzen Monat lag ich flach.« Er sah auf die Kartenreihen auf seiner Bettdecke. »Da haben wir's«, er lachte breit und legte die Karte an eine Reihe. Ich konnte das meiste, was er sagte, nicht verstehen, wollte aber auch nicht unhöflich sein und mich wegdrehen, deshalb wandte ich ihm weiter meinen Kopf zu. Ich betrachtete die schwarze Augenklappe. Sie bedeckte sowohl das rechte Auge als auch den oberen Teil des Wangenknochens und wurde durch ein schwarzes Band festgehalten, das diagonal unter seinem rechten Ohr und um seinen Kopf herumlief. Nachdem ich ihn ein paar Minuten beobachtet hatte, bemerkte ich, daß er mich völlig vergessen hatte, und ich wandte meinen Kopf von ihm ab und nach rechts. Ich sah einen Jungen von etwa zehn oder elf Jahren. Er lag im Bett, den Kopf auf dem Kissen, die Handflächen unter dem Kopf; seine Ellenbogen zeigten nach oben. Er hatte hellblondes Haar und ein zartes, ja schönes Gesicht. Er lag mit offenen Augen da, starrte an die Decke und merkte nicht, daß ich ihn ansah. Ein- oder zweimal blinzelte er. Ich drehte meinen Kopf weg. Die Leute links und rechts neben mir in den Betten verschwammen plötzlich vor meinen Augen. Ich konnte sie nicht mehr richtig ausmachen. Weder sie noch den Rest des Raumes, ich sah nur, daß da zwei lange Reihen von Betten waren und ein breiter Mittelgang, und daß es eindeutig ein Krankenzimmer war. Ich befühlte die Beule an meiner Stirn. Sie war einigermaßen zurückgegangen, schmerzte aber noch sehr. Ich sah, wie die Sonne durch die Fenster schien. Uberall im Krankenzimmer redeten die Leute miteinander, aber es interessierte mich nicht, was sie sagten. Ich sah in die Sonne. Es kam mir eigenartig vor, daß es noch so hell war. Das Spiel war kurz vor achtzehn Uhr zu Ende gewesen. Dann kamen die Fahrt mit dem Taxi, die Zeit im Wartezimmer und im Untersuchungsraum und die Fahrt im Aufzug. Ich konnte mich nicht mehr erinnern, was danach geschehen war, aber auf jeden Fall hatte das alles nicht so rasch gehen können, daß jetzt noch immer Sonntagnachmittag war. Ich überlegte, ob ich den Mann zu meiner Linken fragen sollte, was heute für ein Tag war, aber er schien völlig in sein Kartenspiel vertieft zu 42 sein. Der Junge zu meiner Rechten hatte sich nicht gerührt. Er lag ruhig da und starrte an die Decke, Ich wollte ihn nicht stören. Vorsichtig bewegte ich mein Handgelenk. Es tat immer noch weh. Dieser Danny Saunders war ein gerissener Hund, und ich haßte ihn. Ich überlegte, was er jetzt wohl dachte. Wahrscheinlich freute er sich hämisch und prahlte vor seinen Freunden wegen des Spiels. Dieser erbärmliche Chasside! Ein Krankenpfleger schob langsam einen Essens wagen, auf dem sich die Tabletts türmten, durch den Gang. Es ging ein Ruck durch das ganze Krankenzimmer, als die Menschen sich in ihren Betten aufrichteten. Ich beobachtete, wie der Pfleger die Essenstabletts ausgab, und hörte das Klappern von Besteck, Der Mann zu meiner Linken räumte seine Karten zusammen und legte sie auf den Tisch zwischen unseren Betten. »Happa-Happa«, sagte er und lächelte mich an. »Zeit für den Futtertrog. Es ist hier allerdings nicht so gut wie im Trainingslager. Es geht nichts über das Essen im Trainingslager. Du machst dir Appetit, dann ißt du schön vorsichtig und paßt gut auf dein Gewicht auf, aber du ißt wirklich gut. Was steht heute auf der Speisekarte, Doktorchen?« Der Krankenpfleger grinste ihn an. »Bin gleich bei dir, Killer.« Er war noch drei Betten entfernt. Der Junge in dem Bett rechts von mir drehte seinen Kopf ein wenig und legte seine Hände auf die Bettdecke. Er blinzelte, lag still und starrte an die Decke. Der Pfleger blieb am Fußende des Bettes stehen und nahm ein Tablett vom Wägen. »Wie gehts dir, Billy?« Die Augen des Jungen machten die Richtung ausfindig, aus der die Stimme des Pflegers gekommen war. »Gut«, sagte er sanft, sehr sanft, und begann sich aufzurichten. Der Pfleger kam mit dem Essenstablett herüber an die Seite des Bettes, aber der Junge starrte noch immer in die Richtung, aus der die Stimme geko mmen war. Ich blickte zu dem Jungen und sah, daß er blind war. »Es gibt Hühnchen, Billy«, sagte der Pfleger. »Erbsen und Karotten, Kartoffeln, wirklich heiße Gemüsesuppe und Apfelmus.« »Hühnchen!« sagte der Mann zu meiner Linken. »Wer kann zehn Runden durchstehen mit Hühnchen?« »Hast du vor, heute Nacht in die zehnte Runde zu gehen, Killer?« fragte der Pfleger freundlich. »Hühnchen«, sagte der Mann wieder, aber er lächelte breit dabei. »Bist du soweit, Billy?« fragte der Krankenpfleger. »Alles klar«, sagte der junge. Er tastete nach dem Besteck, fand Messer und Gabel und begann zu essen. Ich sah die Schwester den Gang hoch kommen. Sie blieb vor meinem Bett stehen. »Hallo, junger Mann. Sind wir noch hungrig?« »Ja, Schwester.« »Das ist gut. Dein Vater bat mich, dir zu sagen, daß dies ein koscheres Krankenhaus ist und daß du alles essen sollst.« »Ja* Schwester. Danke.« »Wie fühlt sich dein Kopf an?« »Gut, Schwester.« »Keine Schmerzen?« »Nein.« »Das ist sehr gut. Wir wollen aber trotzdem noch nicht, daß du dich aufsetzt. Noch nicht. Wir werden das Kopfende ein bißchen höher stellen, dann kannst du dich gegen das Kissen lehnen.« Sie bückte sich. An den Bewegungen ihrer Schultern konnte ich sehen, daß sie an einer Kurbel am Fuß des Betts drehte. Ich spürte, wie sich das Kopfende hob. »Ist das so bequem?« fragte sie mich. »Ja, Schwester. Vielen Dank.« Sie ging zu dem Nachttisch zwischem meinem und dem Bett rechts von mir und öffnete eine Schublade. »Dein Vater bat uns, dir das zu geben.« Sie hielt ein schwarzes Käppchen in ihrer Hand. »Danke schön, Schwester.« Ich nahm das Käppchen und setzte es auf. »Guten Appetit«, sagte sie lächelnd. »Vielen Dank«, sagte ich. Ich hatte mir wegen des Essens Sorgen gemacht. Ich fragte mich, wann mein Vater im Krankenhaus gewesen war und weshalb er jetzt nicht hier war. »Mrs. Carpenter«, sagte der Mann links, »wie kommt's, daß es schon wieder Hühnchen gibt?« Die Schwester sah ihn streng an. »Mr. Savo, bitte benehmen Sie sich.« »Ja, Schwester«, sagte der Mann und tat, als ob er sich vor ihr fürchtete. »Mr. Savo, Sie sind ein schlechtes Beispiel für Ihre jungen Nachbarn.« Sie drehte sich schnell um und ging. »Hart wie ein Pfosten im Boxring«, sagte Mr. Savo und grinste mich an. »Aber ein großes Herz.« 44 Der Pfleger setzte das Tablett auf sein Bett, und Mr. Savo begann, gierig zu essen. Während er an einem Knochen nagte, sah er mich an und zwinkerte mit seinem gesunden Auge. »Gutes Essen. Ohne Pep allerdings, aber das ist das koschere Zeug für dich. Ich ärgere sie gerne ein bißchen. Das hält sie auf Trab wie einen guten Boxer.« »Mr. Savo, Sir?« »Ja, Kleiner?« »Was ist heute für ein Tag?« Er nahm das Hühnerbein aus dem Mund. »Heute ist Montag.« »Montag, der fünfte Juni?« »So ist es, Kleiner.« »Ich habe lange geschlafen«, sagte ich leise. »Du warst total weggetreten. Hast uns alle mächtig ins Schwitzen gebracht.« Er nahm das Hühnerbein wieder in den Mund. »Das muß ein ziemlich er Schlag gewesen sein«, sagte er und nagte an dem Knochen. Ich beschloß, daß es an der Zeit war, mich vorzustellen. »Ich heiße Reuven Maker.« Seine Lippen formten ein Lächeln um den Hühnerknochen herum. »Nett, dich kennenzulernen, Reu... Reu...- wie war das nochmal?« »Reuven... Robert Malter.« »Freut mich, dich kennenzulernen, Bobby-boy«. Er nahm das Hühnerbein aus dem Mund, inspizierte es und ließ es auf das Tablett fallen. »Ißt du immer mit einer Kappe auf?« »Ja, Sir.«_ »WaS'n das? Das gehört wohl zu deiner Religion oder was?« »Ja, Sir.« »Mochte schon immer Kinder, die an ihrer Religion festhalten. Wichtige Sache, die Religion. Könnte auch was davon im Ring gebrauchen. Gefährlicher Platz, der Ring. Tony Savo ist mein Name.« »Sind Sie Preisboxer?« »Das ist richtig, Bobby. Ich bin ein Vorkampfmann. Hätte an der Spitze sein können, wenn der Typ mich nicht so verkloppt hätte. Hat mich für n Monat flach gelegt. Manager hat das Vertrauen verloren. Lausiger Manager. Riesengaunerei, der Ring. Gutes Essen, was?« »Ja, Sir.« »Aber nicht wie im Trainingslager, Geht nichts über das Essen im Trainingslager.« »Fühlst du dich jetzt besser?« hörte ich den blinden Jungen fragen, und ich drehte mich zu ihm um. Er hatte zu essen aufgehört und saß 45