Dm Blaumacherin Der Stromausfall Der Stromausfall Licht!, sagt Fridolin. Mach das Licht wieder an! Er wartet einen Moment. Nichts. Kein Licht. Das Wohnzimmer bleibt dunkel. Verdammt, zischt er und tastet nach der Fernbedienung für den Fernseher. Die Chipstüte, die Bierdose, aber keine Fernbedienung. Ich bitte dich, Berta! Das Spiel beginnt doch gleich und ich kann die Fernbedienung nicht finden. Mach sofort das Licht wieder an! Stille. Dunkelheit. Mein Gott, flucht Fridolin. Er hat jetzt wirklich keinen Sinn für solche blöden Scherze. Auch nicht für Grundsatzfragen: warum ich und nicht du? Sie haben heute schon lange genug diskutiert. Alle wollten fernsehen. Ausgerechnet heute. Die Verhandlungen waren kompliziert und der Preis hoch, bis endlich jeder zufrieden war. Fridolin musste alles Mögliche versprechen, erlauben und zur Verfügung stellen. Seine Frau hat das Handy bekommen. Das heißt, sie wird nachher in der Badewanne sämtliche Freundinnen anrufen und dabei eine astronomische Telefonrechnung produzieren. Sein Sohn Max darf sogar in Fridolins Büro. Das heißt, er wird auf Fridolins teurem Computer irgendwelche Monster abschießen und dazu auf Fridolins neuer Stereoanlage grauenhafte Musik hören. Schreckliche Vorstellungen! Aber Fridolin will sich jetzt gar nichts vorstellen, er will die Füße auf den Tisch legen und das Spiel sehen. Berta will sich nicht einmal um die Pizza kümmern. Warum immer ich und warum nicht mal du? Schon gut, schon gut! Eine fürchterliche Familie! Fridolin hat die Tiefkühl-Pizza selber in den Ofen gelegt, genau zur Halbzeit-Pause wird sie fertig sein. Alles ist vorbereitet, noch drei Bierdosen im Kühlschrank, nichts kann mehr schief gehen, eigentlich ... Mach das Licht an, Berta! Ich zähle bis drei und dann ist das Licht an! Eins, zwei, drei ... Stille. Dunkelheit. Plötzlich ein Geräusch aus dem Badezimmer. Ein Platschen, dann ein Schrei. Berta ist gar nicht im Zimmer, denkt Fridolin, sie ist schon im Bad. Dann muss die Glühbirne kaputt gegangen sein. Dieses verdammte Ding! Leuchtet jahrelang und geht dann plötzlich kaputt, genau fünf Minuten vor dem großen Halbfinale hier in der Stadt. Einfach so. Fridolin seufzt. Wenigstens gibt es in der Küche Ersatzglühbirnen. Stille. Dunkelheit. Die Wohnzimmertür knarrt. Berta?, fragt Fridolin. Ja, sagt Berta. Sag mal, Berta, könntest du in der Küche ...? Fridolin, unterbricht ihn Berta, im Bad ist das Licht kaputt gegangen. Ich bin ausgerutscht und ich glaube, mir ist... Was, im Bad auch? Ja, ganz plötzlich und ich glaube, mir ist... Dann ist das ein Kurzschluss, ruft Fridolin, so ein Mist! Und was heißt das?, fragt Berta. Man muss im Keller die Sicherungen auswechseln. Berta, du weißt doch, wo ... Fridolin, ich habe nichts an, ich habe nasse Füsse und ich glaube, mir ist... 22 23 Die Bi.aumacherin Der Stromausfaix Schon gut, schon gut, stöhnt Fridolin, ich gehe ja schon. Immer ich ... Fridolin quält sich langsam aus dem Fernsehsessel. In diesem Moment spürt er einen Gegenstand auf seinem Oberschenkel, Er greift danach. Zu spät. Das Ding rutscht und kracht auf den Boden. Stille. Dunkelheit. Was war das?, fragt Berta erschrocken. Ich weiß nicht, sagt Fridolin, aber ich glaube, es war die Fernbedienung. Wenn man doch nur etwas sehen könnte! Wieder ein Schrei. Wie vorhin im Bad. Aber jetzt mitten im Wohnzimmer. Was ist passiert?, ruft Fridolin erschrocken. Etwas hat mich angefasst, flüstert Berta entsetzt. Ich bin's, sagt Max. Du?, staunt Fridolin. Und warum bist du nicht in meinem Büro? Der Computer ist plötzlich ausgegangen und die Musik auch. Mist, ich hatte schon sieben Drachen getötet und war schon in der Burg. Wo warst du?, fragt Berta. Vergiss es, Mama, davon hast du keine Ahnung. Stille. Dunkelheit. Dann ist das ganze Haus ohne Strom, sagt Fridolin, wir brauchen eine Taschenlampe. Wir haben keine Taschenlampe, die haben wir doch im Sommer auf dem Campingplatz verloren. Gut, sagt Fridolin, dann gehe ich schnell zum Nachbarn rüber und hole eine. Bin gleich wieder da. Du willst einfach abhauen, ruft Berta. Aber wir brauchen doch eine Taschenlampe! Du willst das Fußballspiel anschauen und uns alleine lassen, schluchzt Berta. Du kannst ruhig hier bleiben, sagt Max, es hat sowieso keinen Sinn. Und warum nicht? fragt Fridolin trotzig. Schau doch mal zum Fenster raus, sagt Max, die ganze Straße ist dunkel. Kein Licht. Ein totaler Stromausfall. Ein totaler Stromausfall? Heißt das, dass in der ganzen Straße niemand das Spiel sehen kann? Sieht so aus, oder siehst du was? Also gut, dann bleibe ich eben hier, sagt Fridolin. Stille. Dunkelheit. Ich habe Hunger, sagt Max. Wir könnten etwas essen. Essen kann man ja wohl auch im Dunkeln. Gute Idee, sagt Fridolin. Es gibt sogar Pizza, dauert aber noch ein bisschen ... Vergiss es, sagt Berta. Und warum, bitte? Ich habe sie doch vorhin selbst in den Ofen getan. Der Ofen ist aus, Fridolin, und die Pizza tiefgefroren. Stille. Dunkelheit. Aber wir könnten uns setzen, sagt Max, das Sofa geht doch noch, oder? Plötzlich ein lautes Knacksen. Was war das, Fridolin? Ach nichts, sagt Fridolin, ich glaube, ich habe die Fernbedienung gefunden. Stille. Dunkelheit. 24 25 Die Blaumacherin Der Stromausfai.l Ich hab's, sagt Fridolin, wir nehmen das Auto und fahren irgend wohin. Am besten zu Onkel Georg! Da gibt es immer etwas zu essen und ich könnte nebenbei das Fußballspiel... Das geht doch nicht, sagt Max genervt. Warum nicht?, regt sich Fridolin auf. Habe ich vielleicht ein elektrisches Auto mit Steckdose? Ich habe immer noch einen Diesel, einen guten alten Diesel! Schon gut, Papa, aber dein Diesel steht in der Garage. Na und? Dann holen wir ihn raus! Aber das Garagentor ist elektrisch, das fandest du doch so praktisch... Stille. Dunkelheit. Ich wüsste was, sagt Max. Was?, fragt Fridolin hoffnungsvoll. Wir könnten telefonieren. Aber das Telefon geht doch auch nicht mehr. Das Telefon nicht, aber das Handy, wir haben immer noch das Handy. Natürlich, daran habe ich gar nicht gedacht. In diesem Moment beginnt Berta zu schluchzen. Beruhige dich doch Berta, wir nehmen ein Taxi und verschwinden von hier. Berta schluchzt weiter. Was ist denn los Berta?, ruft Fridolin. Du wirst sehen, alles wird gut. Sie schüttelt den Kopf. Vorhin im Bad, als plötzlich das Licht ausgegangen ist... Fridolin erinnert sich wieder. Oh nein! Das Platschen, der Schrei. Nein, Berta, das darf doch nicht wahr sein! Doch, ich wollte es vorhin schon sagen, aber dann .., Stille. Dunkelheit. Aus, sagt Fridolin, alles ist weg, verloren: der Fernseher, der Ofen, das Auto, nichts geht mehr. Wir sind erledigt. Hey, sagt Max, das ist doch nur ein Stromausfall. In ein paar Stunden geht das alles wieder. Ganz normal. Das Handy nicht, sagt Fridolin bitter, das schwimmt in der Badewanne. Die Fernbedienung auch nicht, sagt Berta giftig, die hast du vorhin auf den Boden fallen lassen und bist dann draufgetre-ten. Und das Fußballspiel ist dann auch vorbei, flüstert Fridolin. Stille. Dunkelheit. Sagt mal, beginnt Fridolin noch einmal, könnte es sein, dass die ganze Stadt ohne Strom ist? Kann sein, sagt Max, aber das ist jetzt auch egal. Na ja, sagt Fridolin, nicht ganz, dann wäre ja auch im Stadion kein Licht. Dann könnten die gar nicht spielen, die Partie würde ausfallen und nächste Woche ... Fridolin! Schon gut, schon gut, ich dachte ja nur. Stille. Dunkelheit. Seltsam, sagt Berta, gerade noch hat alles ganz normal funktioniert. So selbstverständlich. Jetzt sitzen wir eine halbe Stunde im Dunkeln und schon kann man sich das gar nicht mehr vorstellen, wie das einmal war, so mit Licht und Fernseher und Backofen, Stille. Dunkelheit. So muss das im Krieg gewesen sein, sagt Fridolin. Opa hat das 28 29 Die Blaumacherin doch immer erzählt. Im Dunkeln sitzen und nichts geht mehr. Auf dem Campingplatz in Italien war es doch auch so, sagt Max. Da funktionierte doch auch nichts, wir hatten nicht einmal einen Kühlschrank. Aber das war Urlaub, sagt Fridolin, da muss das so sein. Wir wollten das so. Wir haben das wunderbar gefunden. Ich habe das nicht wunderbar gefunden, protestiert Berta, es war einfach furchtbar. Ich hatte nur Arbeit. Koch du mal Gulasch auf so einem verdammten Camping-Kocher! Nie wieder! Unsere Camping-Reisen haben dir also gar nicht gefallen? Überhaupt nicht, mir hat es immer gegraust! Warum hast du denn nie was gesagt? Du hast mich ja nie gefragt! Wir haben immer nur alles wegen der Kinder gemacht. Meinetwegen hätten wir nicht fahren müssen, sagt Max, Ich wäre auch lieber zu Hause geblieben. Was? Du auch?, fragt Fridolin leise. Stille. Dunkelheit. Plötzlich hört man Schritte. Jemand kommt langsam die Treppe herunter. Pssst!, zischt Fridolin. Knarrend öffnet sich die Wohnzimmertür. Alle halten den Atem an. Mama?, fragt eine zarte Stimme. Papa? Eva?, fragt Fridolin erstaunt. Ja, Papa, ich bin's. Kind, hast du uns erschreckt! Seit wann bist du denn zu Hause? Ich? Schon den ganzen Nachmittag. Schon den ganzen Nachmittag? Warum bist du denn nicht zu uns ins Wohnzimmer gekommen? 30 Der Stromausfall Ins Wohnzimmer? Was soll ich denn hier? Hier läuft doch die ganze Zeit nur der Fernseher. Ich habe gelesen und dann bin ich eingeschlafen. Übrigens, warum sitzt ihr hier eigentlich im Dunkeln? Ach ja, du weißt es ja noch gar nicht... Stille. Dunkelheit. Das ist schon lange nicht mehr passiert, sagt Eva. Ja, sagt Fridolin, so ein Mist! Und ausgerechnet heute! Ich meine nicht den Stromausfall. Ich meine, dass wir alle vier zusammen im Wohnzimmer sitzen und der Fernseher nicht läuft. Ach so, sagt Fridolin, stimmt. Man kann einfach nichts machen. Nur da sitzen und warten und warten. Wir könnten uns unterhalten, sagt Eva. Uns unterhalten? Worüber denn?, fragt Fridolin. Na, du könntest mal was erzählen. Du hast uns schon lange nichts mehr erzählt. Hm, brummt Fridolin, was soll ich euch erzählen? Ich arbeite von morgens bis abends, ich erlebe doch nichts, nichts Besonderes jedenfalls... Na, dann erzähl doch mal, wie du Mama kennen gelernt hast! Au ja!, ruft Max. Ach Gott! ruft Berta. Wie ich Mama kennen gelernt habe? Wie meinst du das? Ihr müsst euch doch irgendwann kennen gelernt haben. Ihr habt euch getroffen, ihr habt euch in einander verliebt, ihr seid ein Paar geworden. Wie war das alles? Hm, sagt Fridolin, das ist alles schon so lange her ... Tja, Berta, wie war das eigentlich? Erinnerst du dich? Ja, seufzt Berta, sogar ziemlich genau. Wir haben beide im Studentenchor gesungen und eines Tages hat mich euer Vater zum Tee eingeladen, zu sich nach Hause. Oma und Opa waren 31 Die Blaumacherin nicht da. Und? ruft Eva. Was und? sagt Fridolin nervös. Wir haben auf dem Sofa gesessen und uns unterhalten. Und dann? Nix dann, wir haben uns eben sehr lange unterhalten. Kann man sich gar nicht vorstellen, sagt Eva. Ja, sagt Berta, und plötzlich ist das Licht ausgegangen. Plötzlich diese Stille und diese Dunkelheit. Ach ja, Berta hat plötzlich das Licht ausgemacht, sagt Fridolin schnell. Fridolin, ich habe das Licht nicht ausgemacht! Du hast es ausgemacht! Wieso ich? Das ist doch lächerlich! Stille. Dunkelheit. Na ja, sagt Berta leise, jedenfalls war das ein wunderbarer Abend. Findest du?, fragt Fridolin vorsichtig, findest du das wirklich? Ja, flüstert Berta, und im Grunde ist es völlig egal, wer das Licht ausgemacht hat, nicht? Ja, sagt Fridolin langsam, eigentlich völlig egal. Es war einfach nur wunderschön. Kakao ohne Unterschrift _ Kakao ohne Unterschrift „Wo muss ich unterschreiben?" fragt ein junger Mann auf Englisch und nimmt einen Plastikbecher. „Nirgends", sage ich und frage zurück: „Warum unterschreiben?" „Keine Ahnung", sagt er, „ich habe heute schon drei Mal unterschrieben: für die Bettwäsche, für die U-Bahnkarte, die dritte Sache weiß ich nicht mehr." „Kann ich noch etwas haben?" fragt ein anderer und gibt mir seinen leeren Becher. Ich nehme die Kanne mit dem Kakao, noch ist sie schwer. „Klar", antworte ich und schenke ein. Ich kann einfach nicht Nein sagen. Aber ich weiß, dass noch mehr Leute kommen. In ein paar Minuten ist nichts mehr da. Dann gibt es wieder traurige Gesichter. Der kleine Platz ist abends normalerweise ziemlich ruhig. Keine Kneipen, keine Restaurants. Ab und zu Leute auf dem Weg nach Hause, ab und zu ein Auto. Aber seit neun Uhr ist hier plötzlich eine Menge los. Sie kommen, einzeln, zu zweit, in kleinen Gruppen. Eine lose Karawane. Afrikaner, Asiaten, viele Menschen aus Osteuropa. Um halb zehn müssen sie zurück sein, in dem improvisierten Asyl für Immigranten. Dort müssen sie ihre Karte zeigen und in der Liste hinter ihrem Namen unterschreiben. Ein Schild über dem Eingang warnt: Wer seine Karte weitergibt, für einen anderen unterschreibt oder eine Nacht ohne Entschuldigung fehlt, verliert seinen Schlafplatz. Das heißt, ein Bett in einem der großen, kalten Räume. Immerhin ein Dach über dem Kopf. Viele von ihnen haben vorher einige Wochen draußen geschlafen, auf Parkbänken, in Hauseingängen. 33 Kakao ohnk Unterschrift Natürlich will niemand dieses Bett verlieren. Also versucht jeder, pünktlich zu sein. Normalerweise gehen sie sofort ins Haus und dann wie immer: Unterschrift, Hausregeln, Nachtruhe. Heute, wie jeden Donnerstag, ist es ein bisschen anders: Wir haben vor dem Haus einen Tisch aufgestellt. Darauf die Thermoskannen mit Kakao, eine Menge Plastikbecher und ein paar Kilo Kekse. Ein Betthupferl. Die meisten Rückkehrer bleiben stehen und nehmen etwas. Es sind nur ein paar Minuten. Aber Zeit genug, um ein bisschen zu plaudern und zu lachen, manche singen auch oder beten zusammen. Es ist nur ein Moment, aber ein guter Moment, in Monaten und Jahren voller Schwierigkeiten. Wenigstens das: Einmal in der Woche wartet jemand auf sie, gibt ihnen das Gefühl, nach Hause zu kommen. Und ausnahmsweise einmal müssen sie nicht unterschreiben. 35 Die Beaumachekin Fee mit Idee Fee mit Idee „Können wir uns nachher sehen?" fragt Federica. Fabian ist überrascht: „Die anderen essen zusammen. Gehst du denn nicht mit?" „Ich weiß", sagt Federica, „aber ich möchte gerne mit dir alleine sein. Ich ..." - sie sieht ihn kurz an - „... ich muss mit dir sprechen. Aber ich möchte natürlich nicht..." „Warte doch", sagt Fabian, „natürlich geht das, wir müssen ja nicht mitgehen. Wir gehen einfach in ein anderes Cafe." „Wirklich", fragt sie, „ist das okay für dich?" „Ja", sagt Fabian schnell, „absolut okay. Also, nachher vor der Schule?" „Lieber nicht", flüstert Federica, „da sehen uns die anderen." „Stimmt", sagt Fabian. „Im Cafe am Ufer?" „Ja", sagt sie, „das ist eine gute Idee. Um halb zwei?" „Alles klar", grinst Fabian. „Danke", sagt sie leise und geht wieder ins Klassenzimmer. Fabian bleibt auf dem Balkon. Er sieht auf die Uhr, noch fünf Minuten Pause, genug Zeit für eine Zigarrette. Er braucht jetzt eine. „Ich muss mit dir sprechen. Alleine." Er sieht noch einmal auf die Uhr. Noch zwei Stunden Deutsch. Eine Ewigkeit! Zwei Stunden Konjunktiv und Präteritum und Konversation. Wie soll er das aushalten? „Ich muss mit dir sprechen. Alleine." Endlich! Heute morgen war er noch enttäuscht. Sie ist zu spät gekommen, neben ihm war ein Platz frei. Genaro ist heute nicht da, wahrscheinlich macht er blau und schläft noch, Fabian hat ihn morgens in der Wohnung nicht gesehen. Aber sie hat sich nicht neben ihn gesetzt, sie hat ihn nicht einmal gegrüßt. 36 Fast einen Monat ist Fabian nun hier. Sommersprachkurs in Berlin. Heute beginnt die letzte Woche. Der Kurs war eine super Idee, eine gute Kombination aus Lernen und Ferien machen. Und ihre Gruppe ist einfach toll. Eine kunterbunte Mischung aus aller Welt. Zwölf Studenten aus acht Ländern. Er ist der einzige Holländer, Genaro, sein Wohnungskollege, ist aus Mexiko, dann gibt es noch Leute aus Australien, Japan, Frankreich und ... eine Italienerin. Sie haben sich alle von Anfang an gut verstanden. Und das auf Deutsch! Vormittags vier Stunden Unterricht, gut, das war manchmal ein bisschen stressig, aber es hat auch Spaß gemacht. Und nach der Schule war immer etwas los: Straßencafes, Picknicks, Ausflüge. Und dann die Abende! Sie sind oft zusammen ausgegangen, Kneipen, Konzerte, Diskotheken. Aber das Beste waren eigentlich die privaten Partys. Einfach bei jemandem Spaghetti kochen und dann feiern, tanzen und singen. Genaro hat eine Gitarre, er spielt super und kennt alle Lieder, von Cat Stevens bis Paolo Conte. Federica kam erst in der zweiten Woche, sie war anfangs ganz schön distanziert und Genaro fand sie sofort ein bisschen schickimicki. Sie wollte nie mitkommen, sie war ständig auf dem Kulturtrip. So konnte das nicht weitergehen. Einmal lud Fabian sie mittags ein, mit dem Fahrrad an den Wannsee zu fahren, aber sie lächelte nur: „Nein danke, ich habe schon etwas vor". Das war ziemlich arrogant, aber dann drehte sie sich plötzlich um und sagte: „Ich gehe in die Nationalgalerie. Wenn du Lust hast, kannst du ja mitkommen." Natürlich hatte er Lust, nicht so sehr auf das Museum, aber auf i Die Blaumacherin Fee mtt Idee einen Nachmittag mit Federica. In dem Museum war er sogar schon gewesen, in der ersten Woche mit der Schule. Aber das musste er ihr ja nicht sagen. So wusste er einiges und konnte ihr ein bisschen imponieren. Schließlich studiert sie Kunstgeschichte. Danach liefen sie lange am Kanal entlang und unterhielten sich gut. Über Italien, über ihr Studium, über Van Gogh. Er hatte schon einen tollen Plan für den Abend, sein Lieblingsrestaurant und dann die Salsabar, aber plötzlich sah sie auf die Uhr und sagte: „Ich nehme hier die U-Bahn. Ich treffe in einer halben Stunde meinen Tandempartner. Nett war's, bis morgen." Schon war sie weg. Und tschüss. Das war der Anfang. Immerhin. Aber es dauerte noch ein bisschen. Dann ließ sie sich endlich einmal blicken, auf der Party bei John, dem Australier. Natürlich war sie zuerst wieder ganz trocken, aber so nach zwei, drei Gläsern Wein wurde sie immer lockerer. Und dann spielte Genaro ein paar italienische Lieder, „Bella ciao" und „Azurro", und plötzlich war sie richtig gut drauf. Sie legte Genaro den Arm um die Schulter und sang bester Laune mit. Fabian auch, er kennt die Texte, und das beeindruckte Federica, offenbar mehr als seine Kunstkenntnisse, jedenfalls legte sie ihren anderen Arm um ihn. Und von „schkkimicki" wirklich keine Spur mehr. Am nächsten Morgen in der Schule war der Spaß vorbei und sie wieder ganz ernst, aber immerhin fragte sie ihn zwei, drei Tage später, ob er noch einmal Lust hätte, auf ein Museum. Das Pergamon. Auch das Pergamon war nichts Neues für Fabian, aber natürlich sagte er ja. Und dachte an den Kanal und an sein Lieblingsrestaurant und an die Salsabar. Aber aus dem Rendezvous wurde wieder nichts. Diesmal hatte Federica auch abends Zeit, das war nicht das Problem. Aber sie hatte Genevieve mitgebracht, ihre Kursnachbarin aus Paris, und 38 die nervte ziemlich. Zuerst ihre altklugen Kommentare im Museum und dann das Gemecker im Restaurant. In Paris wäre alles besser. 'Dann lass uns doch in Ruhe', dachte Fabian die ganze Zeit, aber Genevieve dachte gar nicht daran und quatschte pausenlos weiter. Sie gingen alle bald nach Hause. Mit dem Rendezvous hatte es bis heute noch nicht geklappt. Aber es gab gute Abende und der beste war am letzten Mittwoch. Party in der Schule, Donnerstag war frei. Dabei hatte es ziemlich mies begonnen. Federica war nicht da. Fabian hatte schon Horrorvisionen, dass sie in die Oper gegangen war und dort mit ihrem Tandempartner über Richard Wagner filosofier-te. Noch dazu war die Musik auf der Party schrecklich. Aber dann holte Genaro seine CDs raus und inszenierte eine echte Latino-Nacht. Und plötzlich stand Federica vor Fabian, aus dem Nichts, und wollte mit ihm tanzen. Genaro kapierte gleich und spielte „Mirame", Fabians Lieblingslied. Eine rauschende Nacht. Kleine Pausen auf dem Balkon, Sekt und Pizza, lachen und plaudern mit den anderen, dann wieder tanzen, immer weitertanzen, Federica, lächelnd, unermüdlich, schwerelos. Irgendwann hatte dann die Musik aufgehört und Fabian dachte schon, die Nacht wäre zu Ende. Aber die Fee hatte eine Idee. Ihre Vermieterin war nicht zu Hause, sie konnten bei ihr noch ein bisschen weiterfeiern. Unglaublich! Sie waren wieder einmal zu dritt, Genaro kam auch mit. Aber das war in Ordnung. Sie sind schließlich Freunde und Genaro schlief nach einem Glas auch freundlicherweise auf dem Sofa ein. Federica legte ganz leise eine CD auf, und sie tanzten noch einmal zu „Mirame". Ganz langsam. Irgendwann, bei Sonnenaufgang, nahm Fabian dann die erste U-Bahn. Der gute Genaro schlief da noch friedlich auf dem 39 Die Bl Al'macherin Fee mit Idee Sofa. Erst mittags kam er nach Hause und weckte Fabian mit einem starken Kaffee. Seitdem hat Fabian sie kaum mehr gesehen. Am Freitag war sie in der Klasse, aber nach dem Unterricht sofort verschwunden. Am Wochenende organisierte die Schule einen Ausflug nach Prag. Federica hatte ihm auf der Party gesagt, dass sie wahrscheinlich nicht mitfahren würde und deshalb blieb auch er zu Hause. Er war sicher, dass sie anrufen würde, aber sein Telefon klingelte nicht. Ein schreckliches Wochenende, Genaro war auch nicht da. Fabian saß nur zu Hause herum, klimperte auf Genaros Gitarre und hoffte auf ihren Anruf. Schade, dachte er, wirklich schade. Und nun will sie mit ihm sprechen. Alleine. Fabian denkt an die Party. Wie sie getanzt haben. Genau in dem Raum, wo sie jetzt sitzen und Deutsch pauken sollen. Der Lehrer stellt ein paar Fragen, aber niemand kann sich so richtig konzentrieren. Konversation. Der Lehrer fragt nach dem Wochenende, nach den Höhepunkten der letzten Tage. Nicht sehr originell. Einige Schüler erzählen von Prag. „Und du, Federica", fragt der Lehrer, „warst du auch in Prag?" Federica schüttelt den Kopf. „Nein," „Na, was hast du gemacht?" 'Gute Frage', denkt Fabian und spitzt die Ohren, 'ganz authentisch und aktuell. Wie nützlich so eine Deutschstunde sein kann.' „Ich war zu Hause", antwortet Federica, nichts Besonderes. „Habe lange geschlafen, bin spazieren gegangen,... das war alles." 'Warum, verdammt', denkt Fabian, 'hast du mich dann nicht angerufen?' „Aha", sagt der Lehrer, „und letzte Woche, irgend etwas Schönes?" „Na ja, die Party", sagt Federica, „die Party hat mir gut gefallen. Die war echt super." Und endlich, einen Moment lang, sieht sie zu Fabian hinüber. 'Na also', denkt er. Nach dem Unterricht steht Federica sofort auf und geht weg. Fabian bleibt noch und redet mit den anderen. Sie wollen zusammen essen gehen, und danach an den Schlachtensee fahren. „Kommst du mit?" fragt Genevieve. „Jetzt nicht" sagt Fabian, „später vielleicht, ich weiß noch nicht, ich rufe euch an." Zwanzig Minuten später, im Cafe am Ufer. Sie sitzt schon da, lächelt verlegen. „Tut mir Leid, dass du ..." „Ach was", sagt er, „macht doch nichts." „Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll." Sie sieht ihn an. „Vielleicht kannst du dir ja was denken." „Ja vielleicht", grinst Fabian, „aber ich bin mir nicht sicher." „Es ist nur eine Idee", flüstert sie. „Eine Idee? Da bin ich aber gespannt." „Ja", sagt Federica, „also, du kennst doch mein Zimmer, ziemlich klein, und die Wohnung ..." „Allerdings", sagt Fabian, „ 'mirame' und so weiter." „Ja", sagt Federica, „und heute kommt die Vermieterin zurück und die ist ziemlich schwierig." 'Soso', denkt Fabian, 'und was kommt jetzt?' 40 41